Wenn es eine verrückte Szene in der Harfenmusik gegeben hat, dann in Neapel um die Wende zum 17. Jahrhundert. Ascanio Mayone komponierte Musik für Harfe und Cembalo virtuos und doch als wäre sie der Barockharfe (Tripelharfe) auf den Leib geschrieben. Auf der CD stelle ich sein Libro II umfassend vor.
Die Aufnahme ist per Mail mayone@harfen.at zum Preis von 18.- Euro zzVers erhältlich
Neapel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die spanische Kultur der Harfe vermischt sich mit dem überschäumenden Temperament Süditaliens. Um den Harfenvirtuosen Gian Leonardo Mollica (Gian Leonardo dell‘ Arpa) (1520? – 1602) entwickelt sich eine lebendige Harfenszene. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts stammten fast alle Harfenvirtuosen aus Neapel: Lucrezia Urbani (sie spielte das Harfensolo bei der Uraufführung von Monteverdis Orfeo), Giovan Maria Trabaci, Orazio Michi dell‘ Arpa, Adriana Basile Ascanio und Giulio Mayone. Die Arpa Doppia wurde so etwas wie ein musikalisches Symbol für Neapel während der spanischen Regentschaft.
Mit seinen virtuosen Kompositionen war Ascanio Mayone (1565? – 1627) ein festes Mitglied der Szene. Die erste Quelle für neapolitansche Harfenmusik ist die in seinem Libro II enthaltene Recercar sopra il canto fermo di costantio festa e per sonar all Arpa. Mit der vorliegenden Produktion wird Mayones Libro II mit seinen Toccati, Canzoni und Recercari umfassend vorgestellt.lemieArpe.jpg
Die Toccata beginnt mit einigen vollen Harmonien, allmählich setzt sich mehr und mehr Läuferpassagenwerk an und kleine fugierte Sätzchen werden eingestreut. Mayone spricht in seinen Toccati eine affektgeladene und gebärdenreiche Sprache mit bizarren und verschnörkelten Spielfiguren. Die Toccati des 17. Jahrhunderts verbinden Extravaganz mit technischer Virtuosität und kühnen Improvisationseffekten, die durch Kontraste und allerlei Extreme gekennzeichnet waren. Die Canzoni francesi sind die damals neuen französischen Chansons, oft mit lasziven Inhalt, lebhaft bewegt und häufig humoristisch pointiert, und lassen oft einen bunten Wechsel des Charakters erkennen. Das drückt sich bei Mayone mit Trillerketten und Bravourpassagen aus, unterstrichen mit einem üppigen und verspieltem Kompositionsstil, der den Gebrauch von sehr weit auseinander liegenden Intervallen nicht scheut, und dem Interpreten so manches Fingersatzrätsel aufgibt.
Die Ricercari werden in Imitationstechnik kunstvoll auskomponiert und gelten als ein Vorläufer der Fuge. Obwohl sich Ascanio Mayone an die strengen Kontrapunktregeln hält, ist er trotzdem ein experimentierlustiger Grenzgänger.
Mayone schreibt so abstrakt und fantasievoll, als wäre er mit seinem Kompositionsstil seiner Zeit voraus. Er behauptet, dass es ohne ‚falsche Töne‘ kaum möglich wäre, wunderbare, musikalische Effekte zu erzielen. Sein reicher Gebrauch der Chromatik führt durch die mitteltönige Stimmung zu äußerst spannungsgeladenen Modulationen. Die Art, wie Mayone die Chromatik einsetzt, entspricht den Möglichkeiten und Vorzügen der dreireihigen italienischen Barockharfe (Arpa Doppia oder Arpa Tripla), mit ihren beiden außen liegenden, diatonischen und einer innen liegenden, chromatischen Seitenreihe.
Das Libro II von Ascanio Mayone, wie es in der vorliegenden Einspielung erstmals vorgestellt wird, spiegelt in seiner Gesamtheit die Blüte der Harfenmusik Neapels wieder. Der äußerst chromatische und komplexe Kompositionsstil wurde in der Harfenmusik so nicht mehr erreicht. Giulio Mayone, der Sohn Ascanios, war einer der letzten großen Harfenvirtuosen Neapels, bevor sich der Mittelpunkt der italienischen Harfenmusik nach Rom verlagerte und zunehmend an Bedeutung verlor.